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Evolutionstheorien

Die grossen Evolutionstheorien des 19. und 20. Jahrhunderts

3.1 Der Lamarckismus

1809 erscheint Lamarcks "Philosophie zoologique". In diesem Werk erkennt Lamarck die Evolution der Organismen. Er lebt in einer Zeit, in der Evolution noch kein Thema ist. Lamarck war der erste, der eine detaillierte Evolutionstheorie vorlegen konnte. Es sind zwei Thesen, die seine Evolutionstheorie kennzeichnen: 1. Bei jedem Tier, welches den Höhepunkt seiner Entwicklung noch nicht überschritten hat, stärkt der häufigere und dauernde Gebrauch eines Organs dasselbe allmählich, entwickelt, vergrössert und kräftigt es proportional zu der Dauer dieses Gebrauchs; der konstante Nichtgebrauch eines Organs macht dasselbe unmerkbar schwächer, verschlechtert es, vermindert fortschreitend seine Fähigkeiten und lässt es schliesslich verschwinden. 2. Alles, was die Individuen durch den Einfluss der Verhältnisse, denen ihre Rasse lange Zeit hindurch ausgesetzt ist, und folglich durch den Einfluss des vorherrschenden Gebrauchs oder konstanten Nichgebrauchs eines Organs erwerben oder verlieren, wird durch die Fortpflanzung auf die Nachkommen vererbt, vorausgesetzt, dass die erworbenen Veränderungen beiden Geschlechtern oder den Erzeugern dieser Individuen gemein sind. (ebd: 35ff)

Wichtig für diese Theorie ist die Annahme, dass an der Umbildung der Organisation der Tiere deren Bedürfnisse massgeblich beteiligt sind. Lamarcks Evolutionstheorie besagt, dass sich phylogenetische Änderungen sehr häufig über die aktive Betätigung der Organismen und in der Folge über eine ontogenetische Umgestaltung abspielen. Der Theorie liegt die Vorstellung einer aktiven Anpassung zugrunde. Spricht man heute von Lamarckismus, bezieht man sich meist auf die These von der Vererbung erworbener Eigenschaften. (ebd: 41)

3.2 Der Neolamarckismus

Unter Neolamarckismus wird eine heterogene Gruppe von Evolutionstheorien zusammengefasst. Der Psycholamarckismus geht von einem buchstäblich verstandenen Willen zur Anpassung bzw. zur Veränderung der Lebewesen aus und ist daher nicht mehr lamarckistisch im engeren Sinne. Ihre Vertreter (zum Beispiel Pauly) haben das lamarckistische Konzept "Bedürfnis" auf "Willen" oder "Wunsch" ausgeweitet. Weiter waren sie der Meinung, dass ein Bewusstsein die Entwicklung vorantreibt. Mit seiner Vorstellung des "élan vital", einer Lebensschwungkraft, kam auch Bergson (1921) dieser Meinung sehr nahe. (ebd: 42/52)

Eine andere Gruppe von neolamarckistischen Theorien sind die Orthogenesis-Theorien, deren Repräsentanten von einer gerichteten Evolution ausgehen und so die Ansicht kundtun, dass sich die Organismen in der Zeit gleichsam vervollkommnen. Das "schöpferische Moment" kommt dabei ins Spiel, beispielsweise bei Russell (1945). (ebd: 53)

3.3 Der Darwinismus

Darwin der erste, der die Evolutionstheorie salonfähig macht und gleichzeitig derjenige Wissenschaftler, den man heute mit dem Wort "Evolution" assoziiert. Seine Theorie lässt sich in einige Beobachtungen und daraus gezogenen Schlussfolgerungen zerlegen: Er erkannte, dass die Individuen einer Art untereinander verschieden sind, dass "kein Ei dem andern gleicht". Er erkannte weiter, dass nicht alle Nachkommen eines Elternpaares in der Natur überleben, bzw. dass alle Lebewesen mehr Nachkommen produzieren als tatsächlich zur Reife gelangen. Weiter beobachtete er, dass die Populationsgrösse trotz zeitweiliger Schwankungen in der Regel relativ stabil bleibt, weil der Nachkommenüberschuss kompensiert wird. Schliesslich macht er die Beobachtung, dass die Ressourcen (Nahrungsquellen) stets beschränkt sind. Indem Darwin diese Beobachtungen kombiniert, kommt er zum Schluss, dass die Individuen in einem natürlichen Wettbewerb ums Dasein stehen, dass in diesem Wettbewerb nur die Tauglichsten überleben, und dass es so über viele Generationen hinweg zu einer Veränderung der Arten kommt. Darwins Selektionstheorie war in erster Linie eine Synthese, bestehend aus oben erwähnten Teilschritten. Einfach gesagt lautet sie wie folgt: Nachkommenüberschuss plus beschränkte Ressourcen bewirken einen Existenzkampf. Natürliche Auslese bewirkt in der Zeit eine Evolution. Darwin war überzeugt, dass die natürliche Auslese der wichtigste Evolutionsfaktor ist. (ebd: 46ff) So schreibt er in seinem Hauptwerk "The Origin of Species by Means of Natural Selection": "Akzeptiert man die natürliche Auslese als den wichtigsten Evolutionsfaktor, dann ist damit die Idee der Teleologie, der Zweckmässigkeit in der Natur, verabschiedet. (...) Die Selektion ist (...) ein mechanisch wirkendes Prinzip. Dies (...) bedeutet, dass jede Finalität, jeder Endzweck der Natur ausgeschlossen ist. (...) Unter diesem Gesichtspunkt (...) bleibt kein Platz mehr für den Glauben an eine kosmische Teleologie, den glauben also, dass die Lebewesen einer universellen Zweckmässigkeit untergeordnet sind." (ebd: 50)

Ernst Haeckel stellt in seinen "Welträtseln" (1899) fest: "Damit [mit der Selektionstheorie] ist der transcendente Zweckbegriff unserer teleologischen Schul-Philosophie beseitigt, das grösste Hindernis einer vernünftigen und einheitlichen Natur-Auffassung. (ebd: 51)

3.4 Der Neodarwinismus

Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts stehen die Diskussionen um die Evolution massgeblich im Zeichen der Genetik. Ein wichtiger Schritt in der Biologie war die Wiederentdeckung der Arbeiten Mendels ("Versuche über Pflanzenhybriden" [1866]). Nach Mendel liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die elterlichen Erbfaktoren, in der Zygote kombiniert, nicht ihre Identität verlieren, sondern sich in der nächsten Generation neu zusammenordnen. Erst auf diese Weise ist die auch für die Evolution enorm wichtige genetische Vielfalt zu erklären. Unter Neodarwinismus bezeichnet man üblicherweise Darwins Selektionstheorie plus Genetik. (ebd: 54f.)

Die Mutationstheorie, die auf de Vries zurückgeht, basiert auf der Annahme einer Allmacht der Mutation, also der sprunghaften Änderung im Erbgefüge bzw. der plötzlichen Erzeugung einer diskontinuierlichen Variante. Eine Art könnte demnach ohne Übergang sprunghaft entstehen. Diese Auffassung mündet in jene Vorstellung einer sprunghaften Evolution. Diese Vorstellung widerspricht jedoch der These Darwins von einer allmählichen Entwicklung. Der Neodarwinismus wurde zum Ausgangspunkt für die Synthetische Theorie, die zur "Lehrbuchtheorie" der Evolution stilisiert wurde. (ebd: 57)

3.5 Die Synthetische Theorie

Die Synthetische Theorie korrespondiert mit Ergebnissen aus der Genetik. In gewissem Sinne ist die Theorie aus der Erörterung genetischer Vorgänge hervorgegangen. Für die Synthetische Theorie muss man die Bedeutung der Populationsgenetik in Erinnerung rufen. Dieser Ansatz beruht jedoch auch auf Resultaten anderer biologischer Disziplinen und verdient unter diesem Aspekt ihren Namen. Klassiker der Synthetischen Theorie sind Theodosius Dobzhansky, Julian Huxley, Ernst Mayr, Bernhard Rensch und George G. Simpson. Sie publizierten ihre evolutionstheoretischen Hauptwerke zwischen 1935 und 1955. Huxley (1942) konnte vor allem vergleichend-biologisches und entwicklungsbiologisches Material ausbreiten. Simpson (1953) setzte sich mit den Wesenszügen der organischen Evolution als Paläontologe – und Arbeitskollege und Freund Teilhard de Chardins – auseinander. (ebd: 61ff)

Die Synthetische Theorie ist insofern eine Synthese, als das Zusammenspiel mehrerer Evolutionsfaktoren darin als Erklärung für die Evolution dargestellt wird. Das Wechselspiel von Selektion und genetischer Variation wird präzise formuliert, wie auch die Bedeutung anderer Mechanismen. Die "Moderne Synthese" bedeutet auch das Anheben der Betrachtung der Evolutionsphänomene auf ein neues Niveau in der Hierarchie biologischer Systeme, nämlich auf das Niveau der Population. Somit zeichnet sie sich auch durch eine grundlegende Erweiterung des Bezugsrahmens für die Wirkung der Evolutionsfaktoren aus. (ebd: 67)

3.6 Verortung der Theorie Teilhard de Chardins

Teilhard de Chardin beschreibt die Entwicklung der Erde von Anfang an als ein Prozess von zweiseitiger Struktur, nämlich die Zunahme an Komplexität auf materieller Ebene sowie die Zunahme an Zentriertheit auf geistiger Ebene. Er bestreitet weder die Erkenntnisse Lamarcks, wonach die Evolution aufgrund von Gebrauch bzw. Nichtgebrauch eines Organs sowie durch Vererbung erfolgt, noch die Selektrionstheorie Darwins explizit, setzt den Akzent jedoch anders, indem er im ersten Teil seiner Theorie vor allem die Entstehung des Bewusstseins zurückverfolgt. Ebenso hat er die Erkenntnisse der Vererbungswissenschaft zur Kennntis genommen und setzt diese seiner Theorie zugrunde. Teilhard de Chardin geht von einer gerichteten Evolution aus, wonach die zunehmende Komplexität der Elemente in eine Richtung streben. Weshalb sie das tun, aufgrund eines Willens im Sinne der Psycholamarckisten, erklärt er nicht explizit. Eine eindeutige Parallele lässt sich jedoch im Vergleich mit den Orthogenesis-Theoretikern ausmachen, die ebenso von einer gerichteten Evolution und einer Vervollkommnung der Organismen ausgehen. Auch bei ihnen kommt ein schöpferisches Moment hinzu. (vgl. Kapitel 3.2).

Im Vergleich mit Darwin lassen sich zwei Punkte ausmachen, die von Bedeutung sind. Die Erkenntnisse aus der Selektionstheorie nimmt Teilhard als gegeben, er spricht sich gegen die Rassenlehre aus, die jedoch lediglich eine Folge der Selektionstheorie ist und nicht genuin darwinistisch. Ein markanter Unterschied zwischen Darwin und Teilhard liegt in der Auffassung vom Gang der Evolution. Während Darwin von einer graduellen Entwicklung im Sinne der natürlichen Auslese ausgeht, betrachtet Teilhard die Evolution als sprunghaft (Überlagerung und Ersetzung statt Kontinuität und Verlängerung, vgl. Kapitel 2.2.3). Diese Auffassung teilt Teilhard mit den Neodarwinisten und den Vertretern der Synthetischen Theorie. Der zweite Unterschied betrifft die Evolutionsmechanismen: Während Darwin davon ausgeht, dass die Evolution durch natürliche Auslese vorangetrieben wird, also quasi von unter her, liegen bei Teilhard die Triebkräfte der Evolution im Punkt Omega, der die Entwicklung der Elemente bewirkt, indem er sie zu sich hinaufzieht (vgl. Kapitel 2.2.4).

 

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